Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Bioenergie: Eine umstrittene Technologie umsichtiger einsetzen

23.03.2020

Krisen der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung in verschiedenen Regionen machen immer wieder deutlich, wie stark verschiedene Risiken miteinander verknüpft sind. Der Ressourcen-Nexus, also das Wirkungsgeflecht zwischen Nutzungsformen natürlicher Ressourcen, ist dadurch in den vergangenen zehn Jahren stärker in den Blickpunkt gerückt. Beispiel  Bioenergie: Deren Nutzung nimmt zu, obwohl der Anbau von Energiepflanzen mit der Nahrungsmittelproduktion und dem Schutz natürlicher Ökosysteme konkurriert. Zu einer integrierten Biokraftstoff-Politik kann laut einer Studie das Konzept der „reflexiven Governance“ verhelfen, das den Blick von Einzelinteressen hin zu einer integrativen Sichtweise lenkt.

Aus Zuckerrohr wird in Brasilien nicht nur Zucker, sondern auch Biokraftstoff hergestellt.
Aus Zuckerrohr wird in Brasilien nicht nur Zucker, sondern auch Biokraftstoff hergestellt.

Inaiê Santos, die als Fellow des Internationalen Klimaschutzstipendiums der Alexander von Humboldt Stiftung ein Jahr lang am IASS forschte, vergleicht in ihrem Beitrag in der Zeitschrift „Energy Research and Social Science“ die Umsetzung der Biokraftstoff-Politik in Brasilien und Deutschland. Beide Länder haben den Ausbau von Biokraftstoffen stark gefördert: Brasilien ist der weltweit zweitgrößte Produzent, Deutschland der größte europäische Produzent von Biokraftstoffen. Im Laufe der letzten Jahre hat sich die Biokraftstoffpolitik in beiden Ländern unterschiedlich entwickelt. „Während in der deutschen Debatte der Landverbrauch und die Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion im Zentrum stehen, dominiert in Brasilien ein ,Win-Winʹ-Diskurs mit dem Fokus auf Energiesicherheit, wirtschaftlicher Entwicklung sowie der Reduktion von Treibhausgasemissionen“, erläutert Santos.

Brasilien unter Bolsonaro baut Bioenergie aus – ohne Rücksicht auf Umweltbelange

Die Wirtschaftswissenschaftlerin beschreibt durch partielle Interessen getriebene Entscheidungsfindungen in beiden Ländern. So stellte das brasilianische Parlament wirtschaftliche Überlegungen über die Gefahr von Wasserknappheit, auf die die Nationale Wasseragentur aufmerksam gemacht hatte. Im November 2019 annullierte Präsident Bolsonaro ein seit dem Jahr 2009 geltendes Dekret, das den Anbau von Zuckerrohr im Amazonasgebiet und dem weltweit größten Sumpfgebiet Pantanal verhinderte. Auswirkungen auf die Ökosysteme spielen jetzt keine Rolle mehr.

Deutschland fördert nur noch „fortgeschrittene Biokraftstoffe“

Deutschland begann, mit Unterstützung der EU, zu Beginn der 1990er Jahre mit der Förderung von Biokraftstoffen. Das Hauptziel war damals die Erschließung neuer Märkte für landwirtschaftliche Überschüsse. Ab 2005 geriet die Förderung zunehmend in die Kritik. Größter Streitpunkt war zunächst die Steuerbefreiung für Biokraftstoffe, zunehmend kamen Umweltfragen hinzu.

Das kürzlich von der Bundesregierung verabschiedete Klimaaktionsprogramm 2030 sieht eine Förderung ausschließlich für „fortgeschrittene Biokraftstoffe“ (zum Beispiel aus Zellulose) vor. Bei der Debatte über das Für und Wider von Biokraftstoffen stand der Wettbewerb um Landressourcen im Mittelpunkt. Vernachlässigt wurden laut Santos die Folgen von Düngemitteln, die beim Anbau von Energiepflanzen eingesetzt werden, für das Grundwasser.

Bessere Politik mit „reflexiver Governance“

Santos zeigt, dass das Konzept der „reflexiven Governance“ bei künftigen politischen Entscheidungen helfen kann. Dabei geht es nicht nur um eine Auseinandersetzung mit den Wirkungen und Nebenwirkungen von Lösungen, sondern auch um eine Durchbrechung ebendieser Problemlösungsroutinen. „Dazu gehört die Reflexion darüber, inwieweit gegenwärtige Entscheidungsprozesse in der Lage sind, mit der Komplexität und Ungewissheit umzugehen, von der die zahlreichen Interdependenzen zwischen den Nutzungen der natürlichen Ressourcen weltweit gekennzeichnet sind. Noch wichtiger ist, dass der Ansatz uns ermuntert, Annahmen über Ursache-Wirkungs-Beziehungen sowie die den gegenwärtigen Normen und Institutionen zugrunde liegenden Werte zu überdenken“, erklärt Santos. Besonders wichtig sei es, Akteure aus verschiedenen Regierungsebenen und mit verschiedenen Hintergründen in bestehende Institutionen und Abläufe einzubinden. Ihre alternativen Problemverständnisse sollen in die Lösungen integriert werden.

  • Santos, I. (2020): Confronting governance challenges of the resource nexus through reflexivity: A cross-case comparison of biofuels policies in Germany and Brazil. - Energy Research and Social Science, 65, 101464.
    DOI: http://doi.org/10.1016/j.erss.2020.101464

 

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Bianca Schröder

Dr. Bianca Schröder

Referentin Presse und Kommunikation
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