Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Gerechtigkeit in der Klimamobilität: Reparation, „Kinopolitics“ und mobile Commons

27.02.2023

Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ist das institutsweite Schwerpunktthema 2022/2023.
Soziale Gerechtigkeit ist das institutsweite Schwerpunktthema 2022.

Was hat das Schließen staatlicher Grenzen mit der Klimakrise und Mobilität zu tun? Im Rahmen der RIFS-Vortragsreihe „Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ erläuterte Dr. Mimi Sheller (Dekanin von The Global School am Worcester Polytechnic Institute in Massachusetts, USA) den Zusammenhang zwischen der Klimakrise, globalen Ungerechtigkeiten und Mobilitäten. Dieser Zusammenhang wird aus einer Kinopolitics-Perspektive analysiert, also aus der Perspektive einer Politik der Bewegung. Auf der Grundlage dieser Analyse plädiert Sheller für einen reparativen Ansatz der Klimamobilität. Shellers Ansatz erkennt die Kolonialität der herrschenden Mobilitätssysteme und der grünen Energiewende an. Diese Argumentationslinie wird in diesem Blogartikel aufgegriffen und weiterverfolgt.

Von der Klimakrise zur Klimamobilität

Die Klimakrise und die damit verbundenen extremen Wetterereignisse, zum Beispiel der Anstieg des Meeresspiegels und Dürreperioden, verursachen Verluste und Schäden. Diese führen nicht nur zu materiellen Kosten, sondern tragen auch zu humanitären Krisen bei. Dadurch werden bestehende globale Ungerechtigkeiten verstärkt; Während die Akteur*innen, die für die Klimakrise am meisten verantwortlich sind, im weniger betroffenen Globalen Norden angesiedelt sind, befinden sich die Menschen, die pro Kopf weniger zur Klimakrise beitragen, im weitaus stärker betroffenen Globalen Süden. Dort vertreiben das sich verändernde Klima und die damit einhergehenden Folgen Millionen von Menschen aus ihrer Heimat. Diese Vertreibung führt zu Migration, die dementsprechend als Klimamigration bezeichnet wird. Doch wie Sheller argumentiert, ist dieser Begriff von Klimamigration zu eng gefasst. Sheller beschreibt diese Migrationsbewegungen stattdessen als Klimamobilitäten, die sich in einem komplexen Geflecht verschiedener Mobilitäten, sowie Immobilitäten ereignen. Immobilitäten beschreiben dabei Kontexte, in denen Migration und andere Bewegungen nicht möglich sind. Diese (Im-) Mobilitäten können sich sowohl auf Menschen als auch Gegenstände und Informationen beziehen.

Klimamobilitäten in der Kolonialität des Klimas

Laut Sheller sind diese (Im-)Mobilitäten in fortlaufende räumliche und zeitliche Prozesse und Strukturen eingebettet und miteinander verbunden, die von materiellen und politischen Bedingungen geprägt sind. In Mobility Justice - The Politics of Movement in an Age of Extremes (2018) beschreibt Sheller, wie Macht und Ungleichheit unterschiedliche Governance-Konstellationen bilden und Muster ungleicher Mobilität formen. Die Kontrolle über (Im-)Mobilitäten ist damit eine Form der Macht, die tiefe historische Wurzeln im Kapitalismus, Kolonialismus, Patriarchat und Imperialismus hat. Diese Macht ermöglicht es Staaten unter anderem, Migration zu verhindern und Menschen abzuschieben.

Die kapitalistische Wirtschaftsordnung und der Kolonialismus haben die Bedingungen geschaffen, die zur Klimakrise geführt haben und sie weiter verstärken. Viele Alltagspraktiken der Menschen sowie individuelle und gesellschaftliche Vorstellungen gehen von unendlichen ökologischen Ressourcen und günstiger Arbeitskraft aus. Infolgedessen formen und verstärken Kapitalismus und Kolonialismus sowohl die ungleiche Verteilung von Mobilitäts-Möglichkeiten als auch die ungleich verteilte Betroffenheit durch die Klimakrise. Von diesen negativen Auswirkungen sind vor allem Länder des Globalen Südens betroffen, während Länder des Globalen Nordens im Vergleich ihre Macht weiter ausbauen können. Darüber hinaus können sich Länder des Globalen Nordens besser vor negativen Klimaauswirkungen schützen und sich von diesen erholen. Wie Yarimar Bonilla schreibt, ist „Verwundbarkeit nicht einfach ein Produkt natürlicher Bedingungen; sie ist ein politischer Zustand und eine koloniale Bedingung“ (2017).  Bei Klimamobilitäten geht es also nicht nur um Bewegung im Raum, sie sind auch mit Bedeutungen, Werten und Formen der Rechtfertigung verbunden, warum diese so entstanden sind und aufrechterhalten werden. Im Wesentlichen müssen Klimamobilitäten im Kontext der Kinopolitics gesehen werden. Der Begriff beschreibt das gegenwärtig entstehende Zeitalter der Bewegung, in dem Grenzen ständig in Bewegung sind und die Politik der Bewegung relevant wird. Denn nur einige Gruppen profitieren vom dominanten Mobilitätssystem, andere nicht.

Gerechtigkeit von Klimamobilitäten durch mobile Commons

Als Ausgangspunkt, um die stark miteinander verwobenen Ungerechtigkeiten von Klimamobilitäten zu adressieren, verweist Sheller auf den Begriff Commons (basierend auf Elinor Ostrom). Commons sind gemeinsam hergestellte, gepflegte und genutzte Produkte, Ressourcen und Wissen unterschiedlicher Art. Commons beschreiben außerdem gesellschaftlich produzierte Regeln der Selbstorganisation für das Teilen von Gütern und Wissen und das gemeinsame Bewegen mit anderen. Commons sind damit nicht nur gemeinsam genutzte Flächen, natürliche Ressourcen oder Produkte, sondern eine radikale Art und Weise, sich gemeinsam in der Welt zu bewegen, Räume zu teilen und sich der Privatisierung zu widersetzen. Dieses Verständnis von Commons erkennt aktiv die gegenseitigen Verstrickungen und Abhängigkeiten von Menschen und Gemeinschaften an. Sheller betont außerdem die Wichtigkeit von Mobilitätssouveränität. Also die freie Entscheidung darüber wann, wo, wie und warum Menschen mobil sein möchten. Der Kampf für De-Kolonialisierung ist ein zentraler Aspekt der Mobilitätssouveränität, denn sie schließt indigene Auffassungen und gegenseitige Verantwortung ein.

Hin zu einer reparativen Klimamobilität

Sheller kommt zu dem Schluss, dass jede angemessene Reaktion auf die gegenwärtige Klimakrise mit einer kritischen Auseinandersetzung und Anerkennung der Ursachen anfängt. Dazu gehören auch Sklaverei und Genozide sowie die gegenwärtigen Formen ungleicher globaler Entwicklung, gewaltsamer Grenzregime und Ideologien der Ausgrenzung, die weiterhin den Zugang zu Ressourcen und Sicherheit beeinflussen.
Sheller betont die Notwendigkeit, den exzessiven Konsum fossiler Lebensstile und die damit verbundene Mobilität der sogenannten kinetischen Eliten (d.h. derjenigen, die extrem mobil sind) zu reduzieren. Gleichzeitig muss die existierende Ungerechtigkeit ungleicher Mobilitäten beseitigt und in Zukunft verhindert werden. Dazu gehört einerseits die Freiheit, an Ort und Stelle zu bleiben, und andererseits die Verhinderung des fortschreitenden globalen Ressourcenabbaus. Selbst in dem Fall, dass der Ressourcenabbau für die sogenannte grüne Energiewende erfolgt, trägt er zur Aufrechterhaltung des Klimakolonialismus bei. Ein Beispiel ist der Lithiumabbau im Globalen Süden für grüne Elektromobilität im Globalen Norden.

Anstatt reaktiv Grenzen zu schließen und Mauern zu bauen, muss der Globale Norden Klimaschulden, Klimareparationen, mobile Commons und Mobilitätssouveränität anerkennen, um einen Ansatz der Gerechtigkeit zu ermöglichen. Shellers Vortrag schloss mit einer klaren politischen Aussage: "Das Wachstum eines Systems von tödlichen Korridoren, Internierungslagern und Räumen der Gefangenschaft an unseren Grenzen ist eine illegale, ineffektive und entmenschlichende Antwort auf komplexe Klimamobilitäten, die einer feministischen, dekolonialen, kritischen schwarzen und indigenen Analyse unterzogen werden muss, um alternative Rahmen für wiedergutmachende und epistemische Gerechtigkeit zu entwickeln und zu befürworten."

Medien

Climate Mobility Justice: Kinopolitics, Reparations and Mobile Commoning with Mimi Sheller

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