Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Covid-19: Was treibt Menschen an, sich nicht impfen zu lassen?

23.12.2021

Vaccine anxiety?
Warum haben einige Menschen Angst vor der Impfung?

Vertraut man den statistischen Daten, die vom Robert Koch Institut, den zuständigen wissenschaftlichen Institutionen und Fachgesellschaften über die Risiko-Nutzen-Bilanz von Impfungen gegen Covid-19 verbreitet werden, gibt es am überragenden Nutzen von Impfungen für nahezu alle Personengruppen keinen Zweifel. Die Gefahr einer Ansteckung ist für Geimpfte rund dreimal niedriger als für Nicht-Geimpfte und die Wahrscheinlichkeit eines schweren Gesundheitsschadens oder sogar an Covid zu sterben, ist rund 30-mal niedriger. Mit der neuen Omikron-Variante wird dieses Verhältnis neu gemischt, aber vor allem Personen, die bereits eine Booster-Impfung erhalten haben, sind selbst bei Omikron wesentlich besser geschützt als Nicht-Geimpfte.

Warum also lassen sich in Deutschland dann immer noch rund 20 Prozent der Menschen über 18 nicht impfen? Welche Gründe gibt es dafür, dass trotz der klaren statistischen Nachweise über die Wirksamkeit der Impfung und einem geringen Risiko schwerwiegender Nebenfolgen so viele Menschen die Impfung für sich ablehnen?

Die erste Schlüsselvariable bei diesem Puzzle ist Vertrauen: In einer einer jüngst erschienenen Umfrage[1] zeigt sich eine große Kluft zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften, wenn es um die Zuschreibung von Glaubwürdigkeit geht. 77 Prozent der Geimpften gaben an, in die Ärzteschaft zu vertrauen. Unter den Nicht-Geimpften lag dieser Anteil lediglich bei 45 Prozent. Dieses Gefälle setzt sich fort: beim Vertrauen in die Wissenschaft (68 gegenüber 38 Prozent), die Bundesregierung (28 gegenüber 14 Prozent), und vor allem in die Ständige Impfkommission (53 gegen 15 Prozent). Wo das Vertrauen fehlt, greifen Menschen in der Regel auf eine von zwei Handlungsoptionen zurück:

(a) sie wollen Null-Risiko, oder

(b) sie suchen nach alternativen Quellen, denen sie eher Vertrauenswürdigkeit zuschreiben.[2]

Was bedeuten diese beiden Optionen im Kontext der Impfung?

(a) Die Option des Null-Risikos wird vor allem von denjenigen gewählt, die keiner Seite vertrauen: weder den offiziellen Quellen aus Wissenschaft und Politik noch den professionellen Impfgegner:innen, die sich vor allem im Internet ein Forum geschaffen haben. Die Überlegung ist nachvollziehbar. Ich traue weder der einen noch der anderen Seite, also ist es für mich besser, lieber gar nichts zu tun als das möglicherweise Falsche. Was, wenn Impfen doch gefährlicher ist, als es die offiziellen Stellen verkünden? Sollte ich dann lieber davon Abstand nehmen? Gleichzeitig wird aber auch der anderen Seite nicht so ganz vertraut, denn die verharmlosen das Virus und kochen ihr eigenes, möglicherweise politisch motiviertes Süppchen. Also bleibe ich bei den Strategien, die für mich kein Risiko bedeuten: Abstand halten, testen und Maske tragen.

Aus anderen Studien wissen wir, dass diese Haltung oft von den Menschen eingenommen werden, die man als Impf-Sensible bezeichnen kann: Sie haben entweder schlechte Erfahrung mit Impfungen gemacht, fühlen sich von Impfungen in ihrer körperlichen Unversehrtheit angegriffen oder neigen eher zu Naturheilverfahren mit einer generellen Skepsis gegen die sogenannte Schulmedizin. Gleichzeitig distanzieren sich Menschen aus dieser Gruppe von den Verschwörungsmythen im Internet und sind sich der Gefahr einer Ansteckung durchaus bewusst.

Zu der Gruppe, die mit der Impfung kein zusätzliches Risiko eingehen wollen, gehören auch die Personen, die jüngst in der ZEIT als die „stillen Abgehängten“ bezeichnet werden[3]. Sie sind meist bildungsfern, an Politik nicht interessiert, fühlen sich und ihre Interessen im öffentlichen Raum nicht gewürdigt und sind darauf bedacht, möglichst wenig mit Amtspersonen in Berührung zu kommen. Sie fühlen sich von öffentlichen Appellen nicht angesprochen und haben andere Prioritäten als sich impfen zu lassen. Wie groß diese Gruppe ist, lässt sich kaum abschätzen, weil Gruppenangehörige selten bei Umfragen mitmachen und sich auch sonst gerne „unsichtbar“ machen.

(b) Die zweite Option betrifft Menschen, die aktiv nach alternativen Quellen suchen, denen sie eher Glaubwürdigkeit zuschreiben als den anerkannten Organen der Wissenschaft und Politik. In dieser Gruppe finden wir eine größere Vielfalt von Motiven und Beweggründen, die sich manchmal überlappen, aber ebenso häufig als alleinige Ursache auszumachen sind.

An dieser Stelle seien die beiden wichtigsten Motivlagen angesprochen:

Die schon vor der Corona-Krise von Politik und Wissenschaft enttäuschten Personen: Hier handelt es sich um Individuen und Gruppen, die sich von der Politik „verraten“ fühlen, die sich als Opfer der Globalisierung und Digitalisierung betrachten, die den Eindruck haben, entweder von einer links-intellektuellen Elite (wenn sie auf dem rechten Seite des politischen Spektrums angesiedelt sind) oder aber von profitsüchtigen Kapitalisten (wenn sie auf der linken Seite des politischen Spektrums stehen) gegängelt zu werden und die ihre eigenen Leistungen und Fähigkeiten als von der Gesellschaft nicht genügend anerkannt wahrnehmen[4].

Für diesen Personenkreis ist die Impfverweigerung ein politisches Signal: Seht mal, ich falle nicht auf Eure Propaganda rein, Ihr denkt ohnehin nicht an Menschen wie mich und mit meinem Verhalten zeige ich Euch meine Unabhängigkeit und meinen Protest! Wer zu dieser Gruppe gehört, ist dann auch anfällig für Gegenerzählungen, seien es die vielfach beschworenen Verschwörungsmythen[5] oder angeblich wissenschaftliche Untersuchungen, die das Virus leugnen, die Wirksamkeit der Impfung infrage stellen oder die Nebenwirkungen dramatisieren. Auch wenn sich in diesem Personenkreis Individuen mit extrem linken Positionen finden, ist der Großzahl der Anhänger:innen eher dem rechten Spektrum zuzuordnen. Nach der schon zitierten Studie der Universität Kassel sind gut 37 Prozent der befragten Protestler AfD-Wähler, 12,8 Prozent Nicht-Wähler.

Die durch alternative und oft fantasievolle Erklärungsversuche angesprochenen Personen, für die Verschwörungsmythen und Erzählungen über geheime Mächte im Hintergrund hohe Attraktivität besitzen: Anders als es in den Medien oft dargestellt wird, sind die Anhänger:innen derartiger Verschwörungsgeschichten selten psychisch auffällige Paranoiker oder gar Psychopathen.[6]  Sie sind oft am rechten, zum Teil auch am linken Rand des politischen Spektrums verortet, viele von ihnen sind von alternativen Heilmethoden und -praktiken felsenfest überzeugt und teilen die Erfahrung, dass sie sich meist macht- und glücklos den wechselhaften Ereignissen um sie herum ausgeliefert fühlen. Sie verstehen im wahrsten Sinne des Wortes die Welt nicht mehr. Verschwörungsgeschichten sind zwar durchaus nicht einfach gestrickt und benötigen oft viele Stunden, um sich in die jeweilige Logik der Geschichte einzuarbeiten, aber sie bieten drei wesentliche Vorteile[7]:

  • Gefühl kognitiver Sicherheit: Sie geben den Personen die beruhigende und ansprechende Gewissheit, dass sie jetzt die komplexen Ereignisse um sie herum klar und vor allem eindeutig zuordnen können; bei der Wissenschaft haben sie dagegen den Eindruck, dass jede Woche Einschätzungen nachgebessert und Verhaltensanweisungen revidiert werden[8]
  • Gefühl wiedergewonnener Selbstwirksamkeit: sie bieten eine nachvollziehbare Entlastung der eigenen Erfahrung von Rückschlägen, Enttäuschungen und Frustrationen[9];
  • Gefühl der sozialen Geborgenheit: sie bieten soziale Anerkennung und soziale Einbettung in eine Gemeinschaft der Gleichgesinnten.

Nach diesen drei Gefühlen zu streben, ist für fast alle Menschen attraktiv. Nur sind die meisten Menschen, zumindest im Fall der Impfung, kritisch genug um seriöse Erklärungen und realitätsgerechte Deutungen der Geschehnisse von Wunschdenken, esoterischer Weltabgewandtheit oder eben Verschwörungsgeschichten[10] zu trennen. Auch sind die meisten Menschen zumindest in Deutschland darauf bedacht, nicht auf Fake News oder auf die Propaganda rechter oder linker Einschmeichler hereinzufallen. Nur – so einfach ist es nicht, zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Vision und Illusion und zwischen Glauben und Aberglauben die Grenze zu ziehen. Was stimmt und was nicht stimmt, ist für die meisten Menschen nicht ohne Rückversicherung durch professionelle Fachleute erkennbar. Und hier liegt die Wurzel des Problems: Je mehr Menschen negative Vorerfahrungen mit den Gesundheitsexpert:innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft gemacht haben, je weniger vertrauenswürdig sie diese Expert:innen halten und je mehr sie selber Schwierigkeiten damit haben, komplexe Sachverhalte zu durchschauen, desto attraktiver werden Verschwörungsmythen, die eine klare, sinnvermittelnde und selbstaufwertende Botschaft haben.

Damit ist natürlich noch nicht das ganze Spektrum der Personen, die sich nicht impfen lassen wollen, abgedeckt. Da gibt es den Personenkreis, der sich in seinen Freiheitsrechten beschnitten fühlt und dies durch Impfverweigerung zum Ausdruck bringt, allerdings die Wirksamkeit der Impfung nicht anzweifelt.  Dazu kommen diejenigen, die glauben unverwundbar zu sein und davon ausgehen, dass sie sich nicht anstecken bzw. keine schlimmen Symptome erleiden werden (Trump Syndrom) oder auch die Personen, die sich vor der Spritze mehr fürchten als vor den Folgen einer Infektion. Schließlich sind auch diejenigen zu nennen, die einfach noch nicht die Zeit gefunden haben, sich impfen zu lassen.

Die Frage stellt sich nun: Was tun? Soll man es dabei bewenden lassen, dass sich 20 Prozent nicht impfen lassen? Soll es eine allgemeine Impfplicht geben? Soll man Impfen attraktiver machen? Soll die Option des Nicht-Impfens erschwert werden? Oder sollen die Vorteile des Impfens noch besser kommuniziert werden?

Die Antworten auf diese Fragen sind nicht leicht, denn was bei der einen Gruppe wirken mag, wird bei der anderen Verhärtung und Trotz bis zur erhöhten Aggression auslösen. Es gibt aber einige Empfehlungen, die sich aus den bisherigen Studien zur Motivationslage der Impfunwilligen ableiten lassen[11]:

  • Zugänge zur Impfung erleichtern und in Alltagsroutinen einbauen - etwa Impfstellen an Einkaufszentren, am Arbeitsplatz, an Sportstätten, an Freizeiteinrichtungen anbieten
  • Anreize für Geimpfte erhöhen, damit es jeder nicht geimpften Person deutlich wird, auf was sie verzichten muss, wenn sie sich nicht impfen lässt
  • Wenn möglich, mehr Auswahl an Impfstoffen anbieten (das erleichtert der Null-Risiko-Gruppe das Gesicht zu wahren und auf den subjektiv am wenigsten problematischen Impfstoff auszuweichen)
  • Kommunikation vor allem auf Solidarität mit dem Schwachen und den Gefährdeten ausrichten: Impfen hilft, weitere Opfer in Zukunft zu vermeiden. Das überzeugt auch diejenigen, die sich für unverwundbar halten, und kommt denen entgegen, für die der Begriff der Volksgesundheit positiv besetzt ist - es geht nicht um die Einschränkung der individuellen Freiheit, sondern um die Wahrung des Wohls derjenigen, die besonders durch Corona bedroht sind
  • Mitstreiter:innen suchen und diese überzeugen, sich als öffentlich wirksame Botschafter:innen des Impfens aufzutreten. Dabei kommt es darauf an, Personen zu wählen, die gerade bei den regierungs- und wissenschaftskritischen Zielgruppen, aber auch bei den stillen Abgehängten eine hohe Glaubwürdigkeit genießen: Personen aus linken oder rechten Kulturkreisen, bekannte Regierungskritiker:innen, Sportler:innen oder Entertainer, Repräsentanten alternativer Medizin und Heilmethoden oder Vertreter:innen von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen, die den Impfunwilligen nahestehen. Eine Kampagne „Ich glaube zwar nicht alles, was die Regierung über Corona sagt, aber damit andere leben können, lasse ich mich impfen!“ könnte hier einiges bewirken.

Bei der allgemeinen Impflicht bin ich skeptisch. Sie wird den Keil zwischen den Geimpften und den Impfunwilligen eher vertiefen als überbrücken. Anders sieht es bei Berufstätigen aus, denen die Gesellschaft Personen anvertraut, die besonders geschützt werden müssen, wie Kranke, ältere Menschen, Kinder oder Menschen mit Behinderung. Hier kann der Staat nicht nur Solidarität erwarten, sondern er muss sie auch im Dienst des Allgemeinwohls einfordern. Für die anderen sollte man noch mal alles versuchen, sie zur Impfung zu bewegen, vorausgesetzt, es gibt keine objektivierbaren medizinischen Gründe, die dagegen sprechen.

 

[1]     Vertrauen in die Impfung ist der bedeutendste Faktor – und das stabil über die Zeit. Aus: C. Betsch (2021): Angst vor Infektionen-Angst vor dem Impfen. In: A.W. Lohse (Hrsg.): Infektionen und Gesellschaft. Springer: Heidelberg und Berlin, S. 28-35. Hier S. 31

[2]     Siehe: O. Renn (2019): Gefühlte Wahrheiten. Orientierung in Zeiten postfaktischer Verunsicherung. Barbara Budrich Opladen und Berlin, S. 81ff.

[3]              K. Menne und U. Schnabel: Streiten wir über die Falschen? Die ZEIT, 16.12.2021, S:- 35-36

[4]     Dies mag auch einem starken Misstrauen gegenüber politischen Institutionen geschuldet sein, welches die Protestierenden eint. 88% haben kein Vertrauen in die Regierung und 82% kein Vertrauen in den Bundestag. Das Misstrauen gegenüber öffentlichen Medien ist besonders stark (91%). Aus: S. Koos (2021): Die „Querdenker“ Wer nimmt an Corona Portesten teil und warum? Ergebnisse einer Befragung während der Corona Proteste am 4.10.2020 in Konstanz. Forschungsbericht. Universität Konstanz,; S. 9.

[5]     Immerhin 70% halten es für gut vorstellbar, dass einflussreiche Geschäftsleute die Bevölkerung zwangsimpfen lassen wollen, und 75% halten es für gut vorstellbar, dass Gruppen von Wissenschaftlern die Öffentlichkeit bewusst täuschen. Dabei ist die Zustimmung zu diesen Aussagen bei Befragten mit niedriger Bildung jeweils höher (83% und 86%). Es überrascht daher wenig, dass keiner der Befragten bereit wäre, sich gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Aus: S. Koos (2021), a.a.O., S. 7.

[6]     Imhoff, R. und Lamberty, P. (2018): How paranoid are conspiracy believers? Toward a more fine-grained understanding of the connect and disconnect between paranoia and belief in conspiracy theories. European Journal of Social Psychology 48 (7), S. 909-926.

[7]     Siehe dazu die Ausführungen von K. Nocum und P. Lamberty (2020): Fake News; Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Quadriga: Köln, S. 78ff.

[8]...fordern die Protestierenden unterschwellig die Produktion eindeutiger Ergebnisse. Da dies nicht der Fall ist, nutzen sie die in wissenschaftlichen Erkenntnisprozessen üblichen Unsicherheiten aus, um den gesamten von anerkannten Expert:innen getragenen wissenschaftlichen Erkenntnisprozess als ungültig zu erklären und ihm die Reputation einer rationalen Autorität zu nehmen. Aus: J. Pantenburg, S. Reichardt, B. Sepp (2021:) Corona-Protest und das (Gegen-)Wissen Sozialer Bewegungen. APuZ 70. Jahrgang, 3-4, S. 22-27, hier S.3, https://www.bpb.de/apuz/wissen-2021/325605/corona-proteste-und-das-gege…

[9]     Dass diese Wissensselbstermächtigung als "kritischer Querdenker" zunächst vor allem eine Aufwertung der eigenen Person und Gruppe bedeutet, ist evident: Die Rolle des informierten, aufgeklärten oder aufgewachten Selbst, das den offiziellen Darstellungen der Pandemie und den Regierungsmaßnahmen nicht mehr vertraut, versichert Exzeptionalität,  Avantgardebewusstsein und Überlegenheit gegenüber einer fehlinformierten Mehrheit. Aus: Pantenburg et al. 2021, a.a.O.. S. 6.

[10]    Ich folge hier der Empfehlung von Nocum und Lamberty (2020), nicht von Verschwörungstheorien, sondern eher von Verschwörungsgeschichten zu sprechen. Denn es sind selten Theorien im engeren Sinne, die hier verbreitet werden, sondern Narrative mit hohem Erklärungsanspruch.

[11]    Siehe auch: K.Schmelz und S. Bowles (2021): Overcoming COVID-19 Vaccination Resistance When Alternative Policies Affect the Dynamics of Conformism, Social Norms and Crowding-Out. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) 118, DOI: 10.1073/pnas.2104912118.

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