Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Klimawandel in der Arktis: Partnerschaften und bessere Daten dringend notwendig

14.11.2019

Dr. Bianca Schröder

Dr. Bianca Schröder

bianca [dot] schroeder [at] rifs-potsdam [dot] de
Ein Rentierschlitten in Novy Urengoi, der zweitgrößten Stadt der Region Yamal. Wie in anderen arktischen Regionen taut auch hier der Permafrost.
Ein Rentierschlitten in Novy Urengoi, der zweitgrößten Stadt der Region Yamal. Wie in anderen arktischen Regionen taut auch hier der Permafrost.

In der Arktis schreitet der Klimawandel doppelt so schnell voran wie in anderen Teilen der Welt. Dies birgt vielfältige Herausforderungen für die nachhaltige Entwicklung nordischer Gemeinschaften und Unternehmen. Das europäische Forschungsprojekt Blue-Action bewertet die Folgen des Klimawandels für die Arktis und entwickelt neue Techniken für genauere Prognosen. Es konzentriert sich besonders auf die Anforderungen der Endnutzer an Klimadaten und diesbezügliche Dienstleistungen. Im Rahmen dieses Projekts kooperiert das IASS mit dem Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen (IMEMO) aus Moskau und der Berliner Organisationsberatung Foresight Intelligence. Für eine Fallstudie zur russischen Region Yamal untersuchen Forscherinnen und Forscher die Rollen, Wahrnehmungen und Interessen verschiedener, für die nachhaltige Entwicklung der Arktis maßgeblicher Stakeholder-Gruppen. Elena Nikitina leitet das Zentrum für Weltwirtschaft am IMEMO und besuchte kürzlich das IASS, wo sie über den Aufbau einer adaptiven Governance in der Arktis berichtete.

Elena Nikitina
Elena Nikitina

Im Rahmen des Projekts Blue-Action unterstützen Sie arktische Regionen bei Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel. Was ist Ihr wichtigster Ratschlag?
Der Erfolg bei der Anpassung an den Klimawandel hängt zu einem großen Teil von verantwortungsbewusster Governance ab. Dafür wiederum ist die Berücksichtigung komplexer Faktoren und Folgen des Klimawandels sowie anderer Veränderungen in der Arktis, etwa im sozialen, wirtschaftlichen und institutionellen Umfeld, notwendig. Auch besondere lokale Umstände sind wichtig, denn der Klimawandel wird sich auf die verschiedenen arktischen Regionen und Gemeinschaften unterschiedlich auswirken. Somit sind vielfältige Anpassungsfähigkeiten und  maßnahmen erforderlich. Es gibt keine Universallösung. Außerdem ist es ganz entscheidend, dass die Reaktionen der verschiedenen Stakeholder gut koordiniert werden. Nur Interaktionen, Zusammenarbeit und Partnerschaften zwischen den Stakeholdern und verschiedenen Verwaltungsebenen gewährleisten die Vielseitigkeit und Wirksamkeit von adaptiver Governance.

Sie führen eine Fallstudie in der russischen Region Yamal durch. Wie haben Sie dort Partnerschaften gegründet, und sehen Sie schon Ergebnisse?

Die Fallstudie wird bei einer Reihe von Stakeholder-Workshops in Potsdam und Moskau entwickelt. Dabei kommen russische und deutsche Fachleute aus Theorie und Praxis zusammen. Sie vertreten lokale Akteure, Klimadienstleister, Mineralölkonzerne, kleine Unternehmen, Entscheidungsträger auf verschiedenen Ebenen, NGOs, die wissenschaftliche Gemeinschaft und viele mehr. Dieser Dialog hat bis jetzt eine Reihe „partizipatorischer Ergebnisse“ hervorgebracht. Dazu gehört die Ausarbeitung von drei Szenarien, die Pfade für die nachhaltige Entwicklung in der Region Yamal bis zum Jahr 2040 abbilden: „Gasboom“, „Schneekönigin“ und „Neuanfang“. Im restlichen Verlauf des Projekts Blue-Action will IMEMO die Erkenntnisse in der Praxis anwenden und testen. Wir planen zudem, einige unserer Ergebnisse im Rahmen der Forschung von IMEMO zu sozioökonomischen und politischen Szenarien zu prüfen und in diesem Kontext wichtige Tendenzen und Perspektiven für den in der Arktis neu entstehenden Markt für Klimadienstleistungen zu untersuchen.

Wenn Sie gute Ratschläge geben wollen, brauchen Sie eine solide wissenschaftliche Grundlage. Haben Sie genug Daten zum Klimawandel in der Arktis und auch zu den Bedürfnissen der arktischen Bevölkerung?

In der Tat: Wir brauchen mehr Forschung, um ausreichende Daten zu erheben und die Verknüpfungen zwischen Natur- und Sozialwissenschaften zu stärken. Es ist unverzichtbar, wissenschaftliche Unsicherheiten in Bezug auf den zukünftigen Klimawandel zu berücksichtigen und Kapazitäten für adaptive Governance und Entscheidungsfindung aufzubauen. Eines der Probleme, denen wir uns gegenüber sehen, ist die Unzuverlässigkeit der jahreszeitlichen Daten. Zum Beispiel wiesen die jahreszeitlichen Prognosen für Russland, die vom russischen hydrometeorologischen Dienst (Hydromet) herausgegeben werden, in den letzten 20 Jahren eine Genauigkeit von nur 58 bis 81 Prozent auf. Solche Ungenauigkeiten hindern die Versorgungsunternehmen daran, Energieressourcen angemessen zuzuteilen, und verringern so ihre betriebliche Kosteneffizienz. Fest steht: Für eine erfolgreiche Anpassung der lokalen Bevölkerung und Unternehmen an den Klimawandel sind bessere Prognosen notwendig. Auch der in der Arktis schnell wachsende Markt für Klimadienstleistungen bringt Herausforderungen mit sich, die nur gemeistert werden können, wenn die Bedürfnisse und Interessen einer steigenden Zahl von Stakeholdern genau bestimmt werden.

Mit welchen Stakeholdern arbeiten Sie im Rahmen von Blue-Action zusammen, und mit welcher Strategie helfen Sie ihnen bezüglich Klimadienstleistungen?

Die Vielfalt der Stakeholder und ihrer Bedürfnisse beim Bezug von Klimadienstleistungen nimmt zu. Zu den Stakeholdern gehören inzwischen die lokale Bevölkerung, die Geschäftswelt und die Wirtschaft. All diese Stakeholder haben unterschiedliche Bedürfnisse. So hängen beispielsweise die Geschäftsstrategien der im Norden tätigen großen Bergbau-, Öl- und Gasunternehmen von jahreszeitlichen und längerfristigen Vorhersagen und Bewertungen zum Risiko von Naturkatastrophen ab. Nach unserer Erfahrung erweisen sich nationale und regionale Zentren für Klimadienstleistungen, die auf verschiedene Kundengruppen zugeschnittene Produkte anbieten, als sehr hilfreich für die Vorbereitung auf Veränderungen durch den globalen Klimawandel. Sie können insbesondere die Gefährlichkeit von verschiedenen Naturkatastrophen verringern und die Reaktion darauf verbessern.

Das jüngste Beispiel für eine Naturkatastrophe in dieser Region sind die Waldbrände in Sibirien in diesem Sommer. Hätten Klimadienstleistungen helfen können, den Schaden zu begrenzen?

Abgesehen von Fällen der Brandstiftung gehe ich davon aus, dass der übergreifende Auslöser für die Brandkatastrophe in Sibirien eine schlechte Governance war. Die Sofortmaßnahmen wurden durch Lücken in der Schadensbewertung sowie verzögerte Entscheidungen vonseiten der zuständigen regionalen Behörden behindert: Die Behörden entschieden, die Situation zu beobachten, statt die Brände proaktiv einzudämmen, bevor sie katastrophale Ausmaße erreicht hatten. Nur in 3 bis 4 Prozent des betroffenen Gebiets kamen proaktive Maßnahmen zum Einsatz! Diese zögerliche Reaktion ist zumindest in Teilen auf die bestehende institutionelle Organisation zurückzuführen, die auf der Internationalen Strategie zur Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen beruht. Dieses Rahmenwerk erklärt eine Gefahr nur dann zur Katastrophe, wenn sie eine schwere Bedrohung für Menschen oder Infrastruktur darstellt. Tritt eine Gefahr jedoch nur in der Natur auf, gilt sie als Teil des ökologischen Kreislaufs. Dieser Ansatz wird häufig auf die arktische Region angewendet, was schwerwiegende Folgen hat.

Was genau ist bei der Gefahrenvorsorge falsch gelaufen?

Erschreckenderweise vernachlässigten die Entscheidungsträger im Fall der sibirischen Waldbrände mehrere Faktoren des Klimawandels. Zum Beispiel wurden Klima- und hydrometeorologische Daten nicht angemessen einbezogen. Während der Trockenzeit im Jahr 2019 lagen die durchschnittlichen Temperaturen in den feuergefährdeten Regionen Irkutsk, Krasnojarsk und Jakutien 10 Grad über dem dreißigjährigen Durchschnitt für diese Gebiete. Außerdem berücksichtigten die Entscheidungsträger verschiedene klimabezogene Risikofaktoren und Variablen sowie die kurzfristigen Vorhersagen für mehrere Kennzahlen (Wind, Luftfeuchtigkeit, Temperatur und die Stabilität von Hochdruckgebieten) nicht ausreichend. Governance-Fehler dieser Art deuten darauf hin, dass die bestehende Organisation einschließlich Normen und Vorschriften modernisiert werden muss. Die Staatsduma hat inzwischen über dieses Problem debattiert und eine Sonderkommission zur Bewertung der bestehenden Normen eingerichtet. Es steht zu erwarten, dass der Regulierungsrahmen für die Prävention von Waldbränden erneuert wird, aber es bleibt die Frage, wie die Neuerungen durchgesetzt werden. Dieses Beispiel zeigt die Grundzüge und Bedeutung der Forschung im Rahmen von Blue-Action. Ziel ist die genaue Bestimmung der Bedürfnisse von allen Stakeholdern, die Klimadienstleistungen beziehen, zu denen auch die für Governance und Katastrophenschutz zuständigen Entscheidungsträger zählen. Unsere Forschung weist auf den Bedarf an adaptiven Governance-Systemen hin, die wirksame Mechanismen für die Bereitstellung von Klimadienstleistungen umfassen.

Blue-Action wird im Rahmen der Zuschussvereinbarung Nr. 727852 durch das EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 gefördert.

 

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