Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Keine Vorteile mehr für Diesel

03.08.2017

Prof. Dr. Tim Butler

Prof. Dr. Tim Butler

tim [dot] butler [at] rifs-potsdam [dot] de

Um die Luftqualität nachhaltig zu verbessern, müssen Dieselfahrzeuge endlich den gleichen Emissionsstandards wie andere Fahrzeuge unterworfen und Steuervorteile für Diesel-Treibstoff abgeschafft werden.

Beim „Diesel-Gipfel“ in Berlin haben Vertreter von Regierungen, Autoherstellern und weiteren Beteiligten gerade über Wege aus dem aktuellen Diesel-Chaos diskutiert. Auf der Tagesordnung standen Maßnahmen wie Fahrverbote, die blaue Plakette und Nachrüstungen alter Fahrzeuge. Ausreichen wird das nicht. Denn der seit zwanzig Jahren anhaltende Boom der Diesel-PKW in Europa und seine schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen haben tiefe Wurzeln. Seit Jahren werden Diesel-PKW in Europa politisch unterstützt, was ihnen einen unfairen Vorteil gegenüber konkurrierenden Technologien auf dem hiesigen PKW-Markt verschafft hat. Staatliche Subventionen für Dieseltechnologie sollten deshalb so schnell wie möglich abgeschafft werden. Nur so lässt sich die Dieseltechnologie zwingen, unter gleichen Bedingungen mit alternativen Antrieben zu konkurrieren.

Seit die EU 1998  das Kyoto-Protokoll unterzeichnete, wurden Dieselmotoren in der EU subventioniert und gefördert.  Grund sind ihre vermeintlich besseren Klimaschutzleistungen im Vergleich  mit Benzinmotoren. Und das, obwohl Dieselfahrzeuge deutlich größere Mengen an schädlichen Luftschadstoffen ausstoßen als Benziner. Dass  Dieselfahrzeuge mehr Schadstoffe ausstoßen dürfen, wurde sogar in den EU-Emissionsnormen zu Luftreinhaltung verankert. Die meisten Diesel-PKW, die derzeit auf europäischen Straßen fahren, dürfen gesetzlich bis zu dreimal mehr Stickoxide pro Kilometer ausstoßen als  Benzin-Fahrzeuge. Das hat Folgen: Stickoxide sind jedes Jahr für mehrere Zehntausende vorzeitiger Todesfälle in Europa verantwortlich. Die Bilanz aus dem  Kompromiss der EU zwischen der Erfüllung ihrer Kyoto-Ziele und dem Schutz ihrer Bürger ist erschreckend.

Von wegen Klimaschutz: Die Industrie  ignoriert selbst laxe Ziele

Die Autohersteller haben sich entschieden, sogar die laxen Ziele der EU zur Luftreinhaltung zu ignorieren. Sie produzierten Dieselfahrzeuge, die bis zu zwanzigmal mehr Stickoxide ausstoßen als erlaubt. Selbst die modernsten Diesel-PKW, die ab Werk der höchsten Norm Euro 6 entsprechen sollten, emittieren  unter realen Fahrbedingungen durchschnittlich fünfmal mehr Stickoxide als zugelassen. Dieser Betrug hat die Luftverschmutzung in den großen europäischen Städten so sehr verschlimmert, dass jetzt einige von ihnen das Verbot von Dieselfahrzeugen in Betracht ziehen oder dazu gezwungen werden könnten.

Die Schuld für diese Situation liegt aber nicht nur bei den Autoherstellern und Regulierungsbehörden, die es versäumt haben, die Emissionsnormen angemessen zu setzen und durchzusetzen. Viele europäische Länder, darunter auch Deutschland, bieten Autofahrern Anreize zum Erwerb von Diesel-PKW, indem sie Dieselkraftstoff deutlich niedriger besteuern und ihn so billig machen. Das kostet den deutschen Steuerzahler pro Jahr rund acht Milliarden Euro.

Diesel-Boom dank Treibstoff-Subvention und fehlender Kontrollen

Die Kombination aus subventioniertem Treibstoff und fehlenden effektiven Emissionskontrollen hat dazu geführt, dass der Anteil an Dieselfahrzeugen bei neuen europäischen PKW-Zulassungen in den letzten zwei Jahrzehnten in die Höhe geschossen ist. Mitte der 1990er Jahre tankten gerade mal 20 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge Diesel, heute sind es über 50 Prozent. In den zwei anderen  wichtigen Automobilproduktionsregionen der Welt, in Japan und den USA, liegt der Anteil der Zulassungen neuer Dieselfahrzeuge bei deutlich unter fünf Prozent. Der Diesel-Boom ist also ein rein europäisches Phänomen, das aus der zu engen Beziehung zwischen Autoherstellern und Regierungen resultiert.

Vor zwanzig Jahren stießen Diesel-Fahrzeuge tatsächlich weniger Kohlendioxid aus als PKW, die Benzin tankten. Mittlerweile hat sich der Abstand zwischen Diesel- und Benzintechnik allerdings deutlich verringert. Moderne Benziner stoßen fast die gleiche Menge an CO2 pro Kilometer aus wie Diesel-PKW. Bei Hybridfahrzeugen, die Benzin tanken, ist es sogar noch weniger. Das bedeutet, dass es keinen vertretbaren Grund mehr für die günstigere Behandlung von Diesel-Autos im Emissions- und Steuerrecht gibt. Im Gegenteil, diese Bevorteilung von Diesel kostet Gesundheit und Menschenleben und sollte so bald wie möglich gestoppt werden.

Eine Mobilitätswende mit gleichen Bedingungen für alle Fahrzeuge

Damit die EU ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und ihre eigenen  Ziele zur Verbesserung der Luftqualität erfüllen kann, ist eine radikale Mobilitätswende nötig. Die zukünftige europäische PKW-Flotte muss mit nahezu null Emissionen von CO2 und Luftschadstoffen fahren. Es gibt mehrere alternative Antriebstechnologien in verschiedenen Entwicklungsstadien, die eine wichtige Rolle spielen könnten, um im Übergang zu dieser emissionsarmen Zukunft ihren Beitrag zu leisten. Dazu gehören unter anderem Erdgas, Brennstoffzellen, Batterien und Hybridantriebe. Einige dieser Technologien werden im Konkurrenzkampf auf der Strecke bleiben, andere werden die Grundlage für nachhaltige Mobilität und Arbeitsplätze schaffen.

Vor kurzem kündigte Frankreich als das  Land, in dem das Pariser Klimaabkommen beschlossen wurde, an, nach 2040 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren für Diesel und Benzin mehr zum Verkauf zuzulassen. Großbritannien schloss sich an, weitere EU-Länder ziehen ähnliche Maßnahmen in Erwägung. Ein vollständiges Verbot von Verbrennungsmotoren würde die Luftqualität in den Innenstädten erheblich verbessern.  Die Klimavorteile einer solchen Umstellung hängen jedoch davon ab, welche Technologie den Verbrennungsmotor ersetzen wird. Reine Elektrofahrzeuge produzieren etwa nur dann echte Klimavorteile, wenn sie von Strom aus kohlenstoffarmen Quellen wie Solar-, Wind- oder Kernenergie angetrieben werden. In Frankreich, wo 80 Prozent der Elektrizität in Kernkraftwerken produziert wird, machen Elektrofahrzeuge aus Klimasicht mehr Sinn als in Deutschland, wo die Hauptstromquelle immer noch Kohle ist. Doch eine zunehmende Abhängigkeit von der Kernenergie bringt auch ein Unfallrisiko und das Problem der nuklearen Abfälle mit sich. Um wirklich nachhaltig zu sein, müssen Elektromobilität und Energiewende Hand in Hand gehen.

Notlösungen reichen nicht aus

Im Falle des aktuellen Diesel-Chaos sind Notlösungen wie das Verbot von Diesel-PKW aus Stadtzentren oder teure Nachrüstungen wohl unvermeidlich, um für sauberere Luft in den Städten zu sorgen. Die Kosten dieser Notlösungen sollten die Bürger, die ihr Dieselauto ohne das Wissen um die tatsächlichen Auswirkungen gekauft haben, nicht alleine tragen. Die Frage der Verantwortung ist kompliziert, da Autohersteller und Regierungen das Problem zusammen geschaffen haben. Sicherlich könnten aber die acht Milliarden Euro Steuergelder helfen, die allein in Deutschland pro Jahr zusätzlich eingenommen würden, wenn Diesel genauso wie Benzin besteuert würde.

Langfristig werden wir jedoch nicht um die Notwendigkeit herum kommen, den gesamten Mobilitätssektor  vollständig umzudenken. Die europäischen Regierungen sollten sich  gut überlegen, ob sie in Zukunft eine bestimmte Fahrzeugtechnologie anderen vorziehen. Das könnte sich als genauso kurzsichtig erweisen, wie die Förderung der Diesel-Technologie in den letzten zwanzig Jahren. Alle PKW, egal welcher Antriebsart, müssen gleichermaßen geregelt und besteuert werden, wenn es um ihren Einfluss auf Klima und Luftqualität geht – und zwar bezogen auf ihren Lebenszyklus und die realen Fahrbedingungen. Es gibt keinen umweltbedingten Grund dafür, dass Diesel-PKW nicht den gleichen Emissionsnormen unterliegen sollten wie Benziner. Diese Emissionsnormen müssen dann aber auch tatsächlich durchgesetzt werden, mit entsprechend schweren Strafen für Brüche.  So kann sichergestellt werden, dass Dieselfahrzeuge auch im europäischen Automarkt dort landen, wo sie hingehören: In der Nische.

Dieser Artikel erschien zuerst am 2. August 2017 im Tagesspiegel Background Energie & Klima.

Foto oben: istock/ssuaphoto

Share via email

Copied to clipboard

Drucken